Die wechselvolle Geschichte der künstlerischen Ausgestaltung der Brancacci-Kapelle (Ende des Trecento) in Santa Maria del Carmine ist seit dem 16. Jahrhundert eine nicht enden wollende Geschichte der Restauration. Masolino übernahm ursprünglich den Auftrag, verließ aber vorzeitig den Werkplatz Florenz für einen finanziell Attraktiveren in Ungarn. Und er gab den Pinsel an seinen begabten, von Giotto’s Realistik inspirierten Schüler Masaccio weiter. Nach dessen geheimnisumwittertem Tod blieb die Kapelle unvollendet. Die fehlenden Motive fügte schließlich Fra Filippo Lippi erst Jahre später hinzu. Restaurationsarbeiten wurden beinahe begleitend zum Malprozess eingeleitet: Schon früh griffen Kaseinüberstriche die Farben an, Salzausblühungen und Schimmelbefall bedrohten das gesamte Werk. Zudem wurden nach den Moralvorstellungen der jeweiligen Epoche z. B. die Genitalpartien von Adam und Eva etwa in der Vertreibungsszene so oft übermalt, wieder blossgelegt, um von Neuem mit Feigenblättern oder Efeu verziert zu werden, daß kaum mehr viel vom Original übrig blieb. So oblag es der Phantasie des jeweiligen Restaurators dem „Urpenis“ der Menschheit würdige Gestalt zu verleihen – eine reizvolle Arbeit, um die ihn viele Kollegen beneideten. – Zynische Kunstkenner behaupten nun, daß das, was heute noch zu sehen ist mehr aus der Hand von geschickten Restauratoren stamme als von den drei großen Meistern der Renaissance.
Aus der Reihe: artefaked – alternative Fakten zur Kunst.